Vater und Sohn


"Das ist ungerecht", sagte Mordred. "Ich will endlich wissen, wer mein Vater ist."
"Ach, Mordred. Du weißt doch, ich würde es dir gern sagen, aber es wird dir Unglück bringen", antwortete Morgana sanft.
"Ja, ich bin ein Bastard, aber deswegen hast du nicht das Recht, mir den Namen meines Vaters vorzuenthalten."
"Ich will dich doch nur schützen. Ein schrecklicher Fluch wird über dich kommen, sobald du den Namen erfährst."
"Das ist dummes Weibergeschwätz, Mutter. Und wenn es so wäre, dann ist es eben mein Schicksal. Du kannst mich nicht mein ganzes Leben lang im Dunklen lassen. Du mußt mir den Namen meines Vaters sagen. Ich kann die Ungewißheit nicht länger ertragen."
Morgana seufzte und schwieg lange. „Warum tust du dir das an, Mordred? Wenn es dein Wille ist, dann darf ich nicht länger zögern. Doch du allein trägst die Schuld an den Folgen."
Sie stand auf und starrte durch Mordred hindurch, weit in die Ferne, als ob sie dort die zukünftigen Ereignisse sehen könnte. „Dein Vater ist - Artus, der König von Britannien!"
Sie hatte die Worte förmlich herausgeschrien, aber Mordred verschlug es die Sprache. Das konnte - das durfte nicht sein! Es war vollkommen unmöglich! Der große König Artus war sein Vater!
"Das ist nicht wahr. Sag mir, daß es nicht wahr ist", forderte er Morgana auf.
"Doch, Mordred, es ist die Wahrheit", sagte sie leise. "Leider."


Mordred lag auf seinem Bett und starrte in die undurchdringliche Dunkelheit. Er konnte immer noch nicht glauben, was seine Mutter ihm offenbart hatte. Doch er hatte in ihren Augen gesehen, daß sie wirklich die Wahrheit gesprochen hatte.
Warum hatte sie ihm das nicht vorher gesagt? Die ganzen Jahre lang hatte er nicht gewußt, daß er ein Königssohn war... Wieviel glücklicher wäre seine Kindheit gewesen, wenn seine Mutter es im früher gesagt hätte...
Niemand hätte es gewagt, Mordred, den kleinen, blassen Jungen, als Bastard zu hänseln. Nie hätten die anderen Kinder ihn abgewiesen, als er sich ihren fröhlichen Spielen hinzugesellen wollte, hätten sie gewußt, daß er Artus Sohn war.
Artus - der große König. Warum hatte er Mordred nicht zu sich geholt und ihn als seinen Sohn anerkannt? Warum hatte er nicht seinen rechtmäßigen Platz am Königshof bekommen?
Morgana hatte ihm erklärt, daß Artus verheimlichen mußte, daß er einen Bastard gezeugt hatte. Denn Mordreds Geburt hatte unter einem schlechten Zeichen gestanden. Plötzlich hatte sich die Sonne verdunkelt, das ganze Land war mitten am Tag von Finsternis bedechkt worden. Der Hofastronom hatte das als furchtbares Omen gedeutet und Artus geraten, seinen Sohn weit fortzuschicken, damit er nicht Unglück über Artus bringen würde.
Mordred fand es lächerlich, daß ein König Angst vor einem Omen hatte. Oh ja, er hatte sich selbst vor dem Unglück gerettet, aber damit Mordred, seinen Sohn, ins Unglück gestürzt.
Doch jetzt, da er wußte, wer sein Vater war, wollte Mordred nicht weiter der Vergangenheit nachtrauern.
Nun war er ein Königssohn und hatte soviel Macht in seiner unmittelbaren Nähe. Er brauchte nur noch die Hand auszustrecken, dann fiel ihm das Königtum von Britannien zu. Es war großartig, dieses Gefühl der Macht. Noch nie hatte er etwas erlebt, was ihm solches Glück und so tiefe Freude bescherte.
Aber würde er jemals König werden? Mordred war sich nicht sicher, ob Artus ihn jetzt als seinen Sohn anerkennen würde, er würde sich wohl immer noch an das Omen bei seiner Geburt erinnern.
Mordreds Finger waren der Herrschaft über die Welt schon so nahe, aber dazwischen lag eine Mauer aus festem Stein. Diese Mauer trug den Namen Artus. Er war ein großer König, er würde gewiß noch lange leben. Mordred wollte nicht warten, jetzt, da er den Namen seines Vaters kannte. Er hatte ein Recht auf die Krone von Britannien!
Doch jede Mauer hat ihre Lücken, jeder Stein hat seine Unebenheiten. Und jeder Mensch hat seine Schwächen, selbst ein König. Mordred mußte nur gut achtgeben, dann würde er diejenige von Artus herausfinden, und dann konnte er erbarmungslos zuschlagen, um an seine rechtmäßige Macht zu kommen.
Denn wenn Artus - das eizige Hindernis - beseitigt wäre, dann wäre das Land ohne König. Da Artus keinen anderen Sohn hatte, würde sich vielleicht jemand an den Bastard Mordred erinnern... Mordred wußte, das Volk hatte Artus geliebt, alle würden einverstanden sein, wenn sein Sohn ihm nachfolgen würde...


Die Hufschläge von Mordreds Pferd hallten auf der Straße, als er auf Camelot zuritt. Seine Mutter hatte versucht, ihn zurückzuhalten, doch er ließ sich nicht von der Idee abhalten, die er sich in den Kopf gesetzt hatte. Es war eine geniale Idee, ein unfehlbarer Plan.


In Camelot hatte man ihm mitgeteilt, daß Artus ausgeritten war, allein, wie es seiner Gewohnheit entsprach. Mordred ritt durch die Wälder zu der Quelle, an der sich der König am liebsten aufhielt.
Es war ein glücklicher Zufall, den ihm sein Schicksal gebracht hatte. Von wegen Fluch, Gott war mit ihm. Oder zumindest der Teufel. Es war alles so einfach, so lächerlich einfach.
König Artus saß im Gras und schaute dem klaren Lauf der Quelle zu, die an ihm vorbeirauschte. Als er Mordreds Schritte hinter sich hörte, stand er auf und blickte ihn an.
Er sah gar nicht wie der große König aus, von dem die Lieder der Barden erzählten, dachte sich Mordred. Er war kein starker Krieger, sondern ein alter Mann, dessen Gesicht Güte und Sanftmut ausstrahlte. Für Mordred konnte es nicht besser sein, sein Plan würde aufgehen.
"Wer seid Ihr, und was ist Euer Begehr?" sprach Artus.
"Ich bin Mordred, Morganas Sohn. Ich bin nur hierher gekommen, um Euch zu sehen."
Artus starrte ihn an, er wirkte, als hätte ihn jemand vor den Kopf geschlagen.
"Wie alt seid Ihr?" fragte er, als er sich wieder in der Gewalt hatte.
"Letzten Monat habe ich meinen sechzehnten Geburtstag gefeiert", erwiderte Mordred.
"Mein Gott!" stieß Artus hervor. "Dann seid Ihr - bist du..."
"Jawohl, Majestät", beantwortete Mordred seine unausgesprochene Frage. "Ihr seid nicht nur mein König, sondern auch mein Vater."
"Mein Sohn!" rief Artus und ging einen Schritt auf den jungen Mann zu, um ihn zu umarmen.
Als er seine Arme ausbreitete, griff Mordred an seinen Gürtel. Artus sah noch nicht einmal, wie ihm das Messer ins Herz gestoßen wurde.
"Mein Sohn..."



Zurücik zum Lagerfeuer
Zum Mondsee

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Meriamon, Hüterin des Mondsees, 30.03.1998

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